Seiteninhalt
04.04.2023

Vortrag in Stockelsdorf: Kriegsspuren in der Seele?

Kriegsenkel:innen und ihre Suche nach Selbstbestimmung und Lebenskraft

Die Gleichstellungsbeauftragte der Gemeinde Stockelsdorf und die Buchhandlung Bücherliebe greifen am Donnerstag den 27. April 2023 ein bewegendes Thema auf: Kriegsenkel:innen.

Zwar liegt das Ende des 2. Weltkrieges fast 80 Jahre zurück, doch wurde erst in den letzten zwei Jahrzehnten das Ausmaß an daraus resultierenden emotionalen Spuren deutlich sowie die große Zahl an Traumatisierungen, die in den Nachkriegsgenerationen noch weiter wirksam sind. Der Krieg in der Ukraine wühlt zudem gegenwärtig Emotionen auf, die tief im kollektiven Gedächtnis stecken.

„Unsere Kriegskind-Generation konnte sich und ihre eigenen Bedürfnisse nie kennen lernen, sie musste ihre Gefühle in Schach halten ebenso wie später die Vitalität ihrer Kinder, damit ihre alten Wunden nicht wieder aufreißen. Darum haben die Kriegsenkel häufig nicht erfahren, was wichtig ist: willkommen zu sein und ernst genommen zu werden. Sie empfinden oft Unbehagen und Schrecken, die sie nicht greifen können, Zukunftsängste und Unsicherheit in den Fragen der Identität und in Lebenszielen“, so die Referentin Mari Böhrk-Martin.

Sie hat als Pastorin 25 Jahre die TelefonSeelsorge Lübeck geleitet und dadurch Generationen von Kriegskindern und Kriegsenkeln und deren Nöte am Telefon begleitet.

Heute arbeitet Mari Böhrk-Martin unter anderem als Traumatherapeutin, Lebensberaterin und Supervisorin und ist Expertin für transgenerationale Weitergabe von Traumata.

„Das Schweigen in der Familie hat die Kriegsenkel:innen geprägt, im Leid bleiben sie mit ihren Eltern verbunden. Viele stehen jetzt an der Schwelle der letzten Jahre ihrer Berufstätigkeit oder haben sie bereits überschritten und halten inne, schauen zurück auf ihre bisherige Lebensleistung und reflektieren noch einmal neu: wie habe ich einst das Elternhaus verlassen? Welche Lebensthemen haben mich dahin geführt, wo ich heute bin? Sie suchen nach Versöhnung mit der Vergangenheit und nach neuer Lebenskraft für den dritten Abschnitt ihres Lebens“, so die Expertin.

In ihrem Vortrag geht es um Fragen wie „Was haben meine Vorfahren als Kinder im Nationalsozialismus, im Krieg und danach erlebt und erlitten? Wie erleb(t)e ich das
Verhältnis zu meinen Eltern/Großeltern? Was hat das möglicherweise zu tun mit deren Erfahrungen der Nazizeit und dem Krieg? Gibt es Schlüsselerfahrungen? Komme ich aus einer deutschen Schweigefamilie?

Böhrk-Martin beleuchtet auch die Ursache von Tics und Macken vieler Kriegsenkel:innen wie hamstern, nie rechtzeitig loskommen und darum immer unpünktlich sein, Angst allein wohin zu fahren oder die Neigung zu harten Haltungen und Lösungen.

Auch Fragen nach der Herkunft diffuser Scham- und Schuldgefühle, nicht gut genug zu sein, nicht so viel wert zu sein wie die anderen, „es“ nicht zu schaffen, nicht wirklich dazuzugehören, die die Kriegsenkel:innen daran hindern, mal einfach glücklich zu sein, geht die Traumatherapeutin nach und fragt, ob das traumatischen Erfahrungen geschuldet ist, die die Vorfahren transgenerational weitergereicht haben.

Die Veranstalterinnen erwarten von diesem Vortrag, dass man Gedankenanstöße bekommt über unbewusste „Aufträge“ und Glaubenssätze, die der Kriegsgeneration geholfen haben (stell dich nicht so an, nimm dich nicht so wichtig), die heute aber wenig förderlich sind, und Impulse dafür, wie man sich aus dem Kriegsenkel:innen-Dasein befreien kann und dieses schwierige Erbe zu einem Schatz für die Zukunft umwandeln kann.

Die Veranstaltung beginnt um 19.00 Uhr im Sitzungssaal der Gemeinde Stockelsdorf, Ahrensböker Straße 7. Karten können zum Preis von 10,00 € ab dem 04.04.2023 in der Buchhandlung Bücherliebe erworben werden.